Separatismus
Europas rebellische Regionen
29.06.2013 ·
Südtiroler, Schotten, Bayern und Katalanen: Sie alle wollen raus
aus ihren Nationen. An der Spitze der Sezession stehen zornige Männer -
und kämpferische Frauen. Ein Reisebericht.
Von
Hendrik Ankenbrand
Dass auf dem Weg zum Europäischen
Einheitsstaat irgendetwas schiefgelaufen ist, haben wir geahnt. Doch als
der Vizepräsident des EU-Parlaments, ein Spanier namens Alejo-Vidal
Quadras, damit droht, in den Straßen von Barcelona das Kriegsrecht zu
verhängen, dämmert uns: Eine Reise zu Europas neuen Separatisten könnte
aufregend werden. Bozen, Barcelona, Bayern, Glasgow - die einen
liebäugeln noch mit Unabhängigkeit, bei den anderen steht der Termin für
die Abstimmung über den Austritt schon fest. Kleinstaaterei mitten in
Europa, das hat es länger nicht mehr gegeben.
Es heißt ja immer, Europa brauche eine große
Erzählung, ein neues „Narrativ“. Aber vielleicht geht das gar nicht
mehr, das große pathetische Epos in einem Kontinent, wo es allerorten
hörbar knirscht, rappelt und ruckelt. Vielleicht ist ein „episodisches
Erzählen“ (Albrecht Koschorke) dem zerrissenen Kontinent angemessener:
eine Fahrt nach Bayern, eine Stippvisite in Schottland, ein längerer
Besuch in Südtirol und in Katalonien. Da ist der Reporter in seinem
Element - und die Sezessionisten können erzählen.
„Wir sind nicht verrückt“
“Let’s talk“,
schreibt der schottische Freiheitskämpfer Colin aus Glasgow und lädt uns
ein, seine Heimat zu besuchen. „Keineswegs sind wir verrückt geworden“,
empört sich der Bekannte aus Bozen, Psychiater von Beruf, und fordert
uns ebenfalls auf zu kommen. „Katalonien bebt, das Referendum ist nicht
mehr aufzuhalten“, ruft Jordi, der alte Freund aus Barcelona, in den
Hörer: „Komm halt vorbei!“
Weitere Artikel
Und
Bayern? Kurzer Anruf bei der Hanns-Seidel-Stiftung: Jeder vierte Bayer,
teilt eine freundliche Dame mit, finde die Vorstellung eines souveränen
bayerischen Staats mit einem bayerischen Außenminister und einer
Bayern-Armee ganz wunderbar. So viele waren es anfangs auch bei den
Katalanen und Schotten. Dann kam die Krise und brachte Arbeitslosigkeit
und Bankenpleiten. Mittlerweile findet die breite Masse, die Milliarden
Steuereinnahmen aus Hotels, Fabriken und Ölfeldern sollten lieber in der
Region verbleiben.
Bayern
Eine Erzählepisode, die in
Deutschland beginnt, braucht einen König. Und ein Schloss. Wer hoch nach
Neuschwanstein will, muss sich unten für Bus oder Pferdekutsche
anstellen. Und warten. Es ist knallvoll in Schwangau, es ist heiß. Wäre
man selbst Bayer, es könnte einen die Wut packen auf diesen König, der
sich den Palast so wenig leisten konnte wie den restlichen
Immobilienbesitz. Die hohen Schulden waren nicht der einzige Grund, dass
Ludwig II. 1870 den „Kaiserbrief“ unterschrieb, der das Ende des freien
Bayerns und den Anschluss ans Preußenreich besiegelte. Aber das
bayerisch-nationale Trauma vom Verlust der Unabhängigkeit nahm mit
Neuschwanstein seinen Lauf.
Nachfrage beim Dichter und Denker
Wilfried Scharnagl, einst Intimus von Franz Josef Strauß und
Chefredakteur des „Bayernkuriers“: „Befinde mich in der ehemaligen
Hauptstadt des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation“, schnarrt
Scharnagl, also Berlin. Überhaupt ist er viel unterwegs, drei Monate vor
der bayerischen Landtagswahl. Scharnagl hat ein Büchlein geschrieben:
„Bayern kann es auch allein. Plädoyer für einen eigenen Staat.“ Von
Großreichen hält der Bayer wenig, dass sich Bayern einem angeschlossen
hat, sei ein historischer Irrtum, so wie der Euro, eine Idee seines
Parteifreunds Theo Waigel. Die ganze Welt wäre mit einem eigenständigen
Bayern besser dran gewesen, sagt Scharnagl und verweist auf zwei
Weltkriege. „Nun haben wir Bayern nichts mehr zu melden.“ Was in seinen
Augen einen klaren Widerspruch zur wirtschaftlichen Dominanz darstellt.
Das Schloss ist erreicht, der Blick
über die Baumwipfel des Freistaats herrlich. Scharnagl tourt gerade an
der Seite Peter Gauweilers durch Bayern: „Bayern zuerst.“ Die Leute
rennen den Show-Separatisten die Bierzelte ein. „Kein Wunder, bei dem,
was gerade in Europa passiert“, sagt Scharnagl. Besonders von den
Katalanen ist er angetan, wo sich das politische Spektrum von links nach
rechts einig ist: Los von Madrid! Vor der Landtagswahl wird Scharnagl
nicht mehr die Unabhängigkeit Bayerns ausrufen und danach wohl auch
nicht. Aber den Länderfinanzausgleich würde er gern beerdigt sehen und
die Brüsseler Euro-Retterei gleich mit. „Das machen wir Bayern nicht
mehr lange mit.“ Der Bayer verabschiedet sich. Und der Reporter vom
Freistaat.
Südtirol
Im Zug die erste Notiz an der
Brennergrenze zu Italien: Der Schmäh österreichischer Bundesbahn-Kellner
ist eindeutig nicht europakonform. Und jeder italienische Grenzpolizist
sieht aus wie ein General. Freundlich grüßend trippeln die Träger
dieser prachtvollen blau-roten Uniformen durchs Abteil. Die
Deutschsprachigen, die zwei Drittel der Bevölkerung Südtirols stellen,
haben es ja weniger mit Grandezza. Weswegen es angeblich auch kaum zu
Eheschließungen zwischen deutschsprachigen Männern und
italienischsprachigen Frauen in Südtirol kommt. Zur umgekehrten
Konstellation hingegen wohl.
Der Zug steht immer noch am „Brennero“. Zeit, im
„Europäischen Landboten“ des österreichischen Schriftstellers und
Europa-Fans Robert Menasse zu lesen. „Die Verteidiger und Schönmaler des
Nationalen, die zum ersten Mal seit hundert Jahren wieder in der Mitte
der Gesellschaft angekommen sind, produzieren diese Krise“, schreibt er.
„Je mehr sie sich mit ihren Mitteln gegen sie wehren, desto mehr
verschärfen sie sie.“ Das „Europa der Nationalstaaten“ will er
„überwinden“. Am Ende eine Überraschung. Nicht Brüssel soll uns
regieren. Europa-Fan Menasse träumt von einem Europa der Regionen.
Das hören die Südtiroler gerne. Es
ist ja die Angst vor der italienischen Nation, die sie auf die Straße
treibt. BBC, „Chicago Tribune“, Russia Today - auf der ganzen Welt wurde
schon über den wiedergekehrten Separatismus im „Alto Adige“ berichtet.
Dort ist das Pro-Kopf-Einkommen das höchste Italiens. Und die
wohlhabenden Südtiroler Bauern, die wenig Steuern zahlen, haben nun
Angst, dass sie bald die Raten ihrer silberfarbenen Audi-Limousinen
nicht mehr bezahlen können, wenn die Schuldenberge Italiens das
prosperierende Südtirol mit in den Abgrund reißen. Hier am Brenner,
fürchten sie, könnte in nicht allzu ferner Zukunft die Euro-Grenze
verlaufen. Schließlich ist laut Umfragen schon jetzt jeder fünfte
Italiener überzeugt, ohne die EU wäre Italien stärker. Vor allem die
Anhänger Beppe Grillos und Silvio Berlusconis wollen die Lira
wiederhaben.
Ankunft in Bozen. Was für eine schöne Stadt! Sofern
man auf der richtigen Seite ist. Der Flusslauf der Talfer trennt die
Altstadt, wo die Deutschen in gotischer Architektur wohnen, von den
neoklassizistischen Bauten der Neustadt im Stil des Römischen Reichs. In
einem Gewaltakt haben die italienischen Machthaber der ersten
Jahrhunderthälfte hier Römer, Sizilianer, Neapolitaner angesiedelt. Die
Region war eben immer Kriegsbeute.
Kleiner Streifgang durch die Straßen. Das
Siegesdenkmal, das Mussolini in den zwanziger Jahren bauen ließ,
markiert den Beginn der Neustadt und für seine Erbauer zudem den Beginn
der Zivilisation. „Sprache, Gesetze und Künste“ brachten die Italiener
laut lateinischer Inschrift den Tirolern. Das Denkmal ist abgesperrt und
videoüberwacht, damit es nachts kein Südtiroler in die Luft jagt. Vor
fünf Jahren ordnete Berlusconis Verteidigungsminister an, dass unter dem
Klotz wieder Gedenkkränze der italienischen Regierung abgelegt werden
sollen. Die einstige Routineprovokation hatte es seit eineinhalb Dekaden
in Bozen nicht mehr gegeben.
Dass eine radikale römische Regierung den
Südtirolern ihre weltbeste Autonomie beschneidet, ist hier Dauersorge.
Eigentlich kommen sie gut aus, die Kulturen, die sich am Handelsplatz
Bozen schon immer vielfältig tummelten. Und dass in ihren Pässen als
Herkunftsland Italien steht, haben sich die Südtiroler teuer bezahlen
lassen seit dem Autonomiestatut von 1972. Die Südtiroler Abgeordneten im
römischen Parlament sind oft das Zünglein an der Waage. Und stimmen dem
Haushalt nur dann zu, wenn wieder mal neue Hoheitsrechte an die
Südtiroler Landesverwaltung wandern. Für die Landesstraßen etwa oder die
Bahnhöfe. Außer Armee, Außenpolitik, Steuerhoheit und Polizei liegt
mittlerweile ziemlich viel Exekutivgewalt in den Händen der Südtiroler,
90 Prozent der Steuern müssen ohnehin zurück ins Land fließen.
Wirtschaftlich-historischer Sezessionismus
Am
Gerichtsplatz prangt ein interessantes Relief. Es zeigt den Duce hoch
zu Ross. In Südtirol zeigt sich ja die Geschichte des 20. Jahrhunderts
wie unter dem Brennglas. Es ist alles da: die Friedensverträge nach dem
Ersten Weltkrieg mit ihren Auswirkungen, die ethnische Flurbereinigung
der „Option“ von 1939, als sich 86 Prozent der Südtiroler entschieden,
ihre Heimat zu verlassen, um „Reichsdeutsche“ zu werden. Das Ende des
Zweiten Weltkriegs, nach dem die Brennergrenze blieb. Die Enttäuschung,
dass es mit der von Italien versprochenen Autonomie nicht weit her war.
Südtirols neuer Sezessionismus hat wirtschaftliche
Gründe und ist doch von der Geschichte der Region nicht zu trennen.
Neben dem Tourismus war Südtirols große wirtschaftliche Stärke die
Energiegewinnung aus Stauseen, weshalb 1961 in Mailand auch mal die
Lichter ausgingen. Im herrlich sommerfrischen Meran, 30 Autominuten von
Bozen entfernt, erzählt Eva Klotz, Jahrgang 1951, von der Reise zu ihrem
Vater. In Meran ist heute „Unabhängigkeitstag“, großes europäisches
Separatistentreffen mit der Südtiroler Band „Volxrock“ und „Los von
Rom“-Sprechchören.
Aber erst hören wir die Geschichte
von Georg Klotz. Im Oktober 2001 machte sich die Tochter auf in die
Stubaier Gletscherwelt, stieg zur Windach-Scharte auf 2844 Meter, von wo
man zur nächstgelegenen Schutzhütte auf Nordtiroler Seite gelangt.
Dorthin hatte sich Vater Georg einst mit letzter Kraft vor den
italienischen Polizisten gerettet, nach zweiundvierzigstündigem Marsch
und Steckschuss in der Brust. In der „Feuernacht“ auf den 12. Juni 1961
hatten Klotz und Gesinnungsgenossen 38 Strommasten in die Luft gebombt.
„So hat sich die Mutter in den Türrahmen gestellt“, ruft Eva Klotz,
Jahrgang 1951, und zeigt mit ausgebreiteten Armen, wie sich die Mutter
positioniert hat, damit der Polizist nicht merkte, wie der Vater floh.
In Italien ist Klotz ein Terrorist. Für die Tochter ein
Freiheitskämpfer.
Nun gärt es wieder in Südtirol. „Kein Wunder bei
der Arbeitslosenquote“, ruft Eva Klotz. Die liegt nur bei 4,5 Prozent.
In Gesamtitalien ist sie dreimal so hoch. Aber vor ein paar Jahren gab
es in Südtirol eben gar keine Arbeitslosen. Alles ist relativ. Seit den
siebziger Jahren ist viel Geld von Rom nach Südtirol geflossen, die
Regierungspartei SVP hat es nach Gutdünken verteilt. Wobei vor allem die
Deutschsprachigen gut wegkamen. Der Bozener Psychiater Mario Lanczik
erzählt von jener leicht unwohligen Grundstimmung der Italiener im Land,
die in Südtirol wieder weniger werden, weil die Stellen im aufgeblähten
öffentlichen Dienst nach dem Proporzprinzip vor allem an
Deutschsprachige gehen. Italiener wandern ab.
Südtiroler Filz
Was bleibt, sind die Folgen
der italienischen Schuldenkrise, die die Wirtschaft der Nation in
diesem Jahr um bis zu zwei Prozent schrumpfen lassen wird. Dass
Ex-Italien-Premier Mario Monti gefordert hat, Südtirol solle sich mit
über hundert Millionen Euro an der Sanierung des italienischen
Staatshaushalts beteiligen, wofür die Steuern auf Immobilien,
Konsumgüter, Einkommen sowie die Abgaben der Bauern steigen sollten,
haben die Südtiroler ihm bis heute nicht verziehen.
“Was ist solch eine Autonomie noch
wert?“, ruft Eva Klotz. „Italien zieht uns runter“, rufen die
Lederhosen-Twens vor der Festbühne. Sechzig Fanclubs des FC Bayern gibt
es im Land, samstags fährt Busladung auf Busladung nach München.
Südtirols Alt-Separatisten wie Eva Klotz haben ihr halbes Leben für die
Unabhängigkeit gekämpft. Nun politisiert die Krise die Jugend, was auch
ein Problem für die Regierungspartei SVP ist, die von einem Filzskandal
in den nächsten stolpert.
Ende Oktober ist Landtagswahl, die Separatisten
sind im Aufwind. Sie lassen sich jetzt coachen, lassen Gutachten
erstellen über die Frage, ob ein neuer Südtiroler Staat sofort aus EU
und Euro austreten müsste. Das ist die größte Sorge der Unternehmer. Rat
kommt von Anna Arqué, die sich mit denselben Fragen herumschlägt, eine
schöne Separatistin aus Barcelona. Zum Unabhängigkeitstag ist sie
eingeflogen und peitscht die Menge auf.
Internationaler Separatismus
Was in Meran
auffällt: Separatisten können sehr unterschiedliche Menschen sein. Sie
solle ihre katalanische Tracht anziehen, hat Eva Klotz Kollegin Anna
aufgefordert. Doch so etwas besitzt sie nicht. Ende dreißig ist die
Katalanin und seit vier Jahren mit Ausnahme von zwei freien Wochenenden
im Dauereinsatz für die Loslösung von Madrid. Sie besaß eine
Unternehmensberatung in London. Jetzt lebt sie von den Ersparnissen. Sie
spricht schnell. Und lädt nach Barcelona ein.
Abschied von Bozen. Kann es etwas Schöneres geben
als bei strahlender Sonntagmorgensonne am Walther-Platz zu sitzen? Ein
österreichischer Soziologe namens Manfred Prisching nennt in der
„Presse“ den seiner Ansicht nach zwingenden Weg Europas: „Die Staaten
werden aufgelöst. Sie werden weiterbestehen als Landschaft, als Gefühl,
als Kultur, als Folklore, als Geschichte - aber nicht als Staat. Es wird
weiterhin eine Art Regierung und Parlament geben, aber ohne
entscheidende Kompetenzen.“ Nur „verstehen das die Bevölkerungen
fatalerweise nicht“.
Deutsche im Ausland nennen sich ja tatsächlich
immer noch nicht Europäer. Wie nennen sich die Südtiroler? „Tirolerin“,
hat Eva Klotz in Meran geantwortet. Einen Stand weiter verteilte die
Abgeordnete Ulli Mair die Handzettel der „Freiheitlichen“,
Separatismuspartei mit Ziel eines völlig eigenständigen Staats. „Ich bin
Deutsche“, hat Mair gesagt. Von der „Südtiroler Freiheit“ muss sie sich
manchmal Sprüche über ihren Patriotismus anhören. Mair ist mit einem
Italiener liiert.
Katalonien
Der niederländische
Schriftsteller Geert Mak ist mal ein ganzes Jahr durch Europa gereist
auf der Suche nach der europäischen Befindlichkeit: wie die
Vergangenheit unsere Gegenwart prägt, wie sie uns verbindet und trennt.
Das Erste, was Mak in Katalonien einfiel, war die Feststellung,
Barcelona sei „eine schlampige Frau mit wundervollen Augen“. Die Stadt,
schreibt Mak, habe ein gestörtes Verhältnis zu sich selbst: schöne
Bauwerke und furchtbar hässliche Viertel, alles in katalanischer
Sprache. Was auffalle: die Abwesenheit Spaniens.
Das stimmt. Anna Arqué hasst einfach
alles, was mit Spanien zu tun hat. „Wir haben nichts zu tun mit diesen
Leuten“, sagt sie und winkt ein Taxi herbei. Jeder demokratische Staat
hat ja ein Legitimitätsproblem, wenn auf einem Teil seines Gebietes eine
entschlossene Unabhängigkeitsbewegung aktiv ist, und das Problem des
spanischen Staats heißt Anna. Ohne irgendeiner Partei anzugehören, hat
sie die demonstrierenden Massen auf die Straße gebracht, inklusive ihrer
Mutter.
2009 ging es mit Märschen im Land und
Demonstrationen in Brüssel los, zwei Jahre später sprachen sich über
eine Million Katalanen bei einem inoffiziellen Referendum dafür aus,
Katalonien solle über die Loslösung von Spanien abstimmen. Die meisten
hatten vorher nie einer politischen Bewegung angehört. Vergangenen
Februar stimmte das katalanische Parlament für das Referendum, das die
spanische Verfassung verbietet: 2014 soll es kommen.
Harte Männer, depressive Ehefrauen
Wenn ein
Land ein Problem mit einer aktiven Unabhängigkeitsbewegung hat, wird
jede kluge Regierung versuchen, diese durch Verhandlungen aus der Welt
zu räumen. Die spanische nicht. Alejo Vidal Quadras, der das Kriegsrecht
verhängen wollte, hat jüngst mit der Guardia Civil gedroht, der
paramilitärischen ehemaligen Franco-Polizei. Sollten die Katalanen
wirklich Wahlurnen aufstellen, werde die Guardia Civil diese
beschlagnahmen. Der Ton ist rau geworden in Spanien. Hier ist der
Prozess der Bildung einer Nation nie vollendet worden. Madrid ist
Madrid, und Katalonien ist Katalonien. Die Haltung der spanischen
Regierung, schreibt Mak, erinnere an die Reaktion von Männern, die bei
Beziehungsproblemen ihren weinenden und depressiven Ehefrauen
entgegenhalten: Es ist doch alles in Ordnung, Schatz. Worüber regst du
dich so auf? Wir führen doch eine ganz wunderbare Beziehung!
Auf der Suche nach den Separatisten
lernt der Reporter tatsächlich vor allem starke Frauen kennen. Mütter
der Nation eben. Der Präsident der größten Universität Barcelonas, der
Audienz gewährt, ist zwar ein Mann, aber nicht wirklich ein
Freiheitskämpfer. Unter riesigen Ölgemälden mit mittelalterlichem
Personal sitzt er und spricht über sein Erweckungserlebnis: „Ich schrieb
einen Aufsatz über kollektive Identität und habe mich gefragt: Gibt es
die?“ Da wurde er zum Separatisten. Seine Untergebene, die Dekanin des
Wirtschaftswissenschaftlichen Instituts, ist für Sachargumente
zuständig.
Träume von Prosperität
Elisenda Paluzie hat
sich eine halbe Stunde freigeschaufelt, wir werfen uns Zahlen an den
Kopf. Katalonien hat mehr Menschen als Belgien oder Dänemark, rechnet
die Dekanin vor; in Europa käme ein souveränes Katalonien an neunter
Stelle; wenn die Steuer nicht mehr an Madrid abgeführt werden müsste,
brächte das dem Haushalt einen Nettozufluss von 13 Milliarden Euro. Im
Jahr! Und was ist mit dem Berg spanischer Staatsschulden, davon müsste
sich Katalonien doch auf der anderen Seite einen Teil aufladen? Ja, sagt
die Dekanin: „Genauso wie einen Teil der spanischen Goldreserven.“
Die dürften zwar sehr viel weniger
wert sein, aber dieser Einwand wirft die Ökonomin nicht um. Genauso wie
die Frage nach einem möglichen Boykott katalanischer Waren. „Ja, in den
ersten Jahren würden die Spanier unseren Cava stehenlassen und
Champagner trinken.“ Aber so einen Boykott habe es schon einmal gegeben,
und in dieser Zeit sei das Export-Verhältnis gekippt: Jetzt verkaufen
die Fabriken mehr Cava ins außerspanische Ausland.
Die anderen sind an Spanien schuld
Wenn
Katalanen über Spanier sprechen, klingt da immer etwas Merkwürdiges mit:
Fleißige auf der einen Seite, Faule auf der anderen. „Die Katalanen
blickten auf die Andalusier herab, als wären diese Halbschwarze“,
schrieb George Orwell in seinem Bürgerkriegs-Epos „Mein Katalonien“.
Rassismus weisen die Katalanen weit von sich. Sie verweisen auf
Argumente.
Anna erzählt die Geschichte vom spanischen
Zugstreckennetz. Eine geplante Güterwaggonstrecke solle nicht am
Mittelmeer entlangführen wie es sinnvoll wäre, sondern quer durch die
spanische Provinz, nur weil die Madrider Politiker den Katalanen wieder
mal eins auswischen wollten, so sieht sie das. Gegen teure Bahnstrecken
demonstrieren auch die Arbeitslosen in Spaniens Süden. Im Taxi bringt
der Reporter das andalusische Reichendorf Sotogrande ins Gespräch, wo
sich hinter Schranken Pools und Palmen reihen, und vor den Schranken
türmt sich der Müll. Das schockt Anna Arqué gar nicht. „In Andalusien
haben die Kinder kostenlose Schulbücher“, sagt sie und kneift die Augen
zu Schlitzen zusammen.
Solidarität mit allen außer Spanien
Ach, es
tut gut, abends mit Jordi in einer Kneipe im Arbeiterviertel Sants zu
sitzen. Es gibt Separatistenbier, auf dem Etikett prangt das rot-gelbe
Wappen Kataloniens mit dem blau-weißen Stern der
Unabhängigkeitsbewegung. Es tut auch gut, wenn man einem Freund seine
Fragen stellen kann: Ist dieses „Los von Madrid“ nicht sehr egoistisch
von den Katalanen? Ohne Katalonien stürzt Spanien ab. Jordi war schon
immer links. Er demonstriert gegen alles. Tritt gerade einer
Genossenschaft bei, die sich mit grünem Strom versorgt. Und glaubt an
die internationale Solidarität. Nur mit Spanien nicht.
Jordi sagt, jede Woche höre er von einem, der seine
Stelle verloren hat. Der Anteil der Wirtschaftsleistung, den Katalonien
an die Zentralregierung abführt, ist viel höher als der Bayerns im
deutschen Länderfinanzausgleich. „Solidarität hat ihre Grenzen“, sagt
ein anderer Linker am Separatistentisch. Für die Katalanen ist diese
Krise eine des Nationalstaats. Der in weiten Teilen Ödland ist. Ein
souveränes Katalonien wäre die Chance, da rauszukommen.
Das katalanische Parlament liegt in einem riesigen,
wunderschönen Park. Wie eine grüne Lunge saugt er den Dreck der
Innenstadt auf. Der Palast war mal das Waffenarsenal der Festung von
Bourbonen-König Philip V., Ende des 18. Jahrhunderts gebaut, um die
besiegten Katalanen in Schach zu halten. Der Sitzungssaal im ersten
Stock ist sehr schön. Neben Gehölz und Samt steht der Generalsekretär
der katalanischen Regierungspartei CiC Josep Rull und berichtet, dass
Franco den Saal einst zusperren ließ: um den Katalanen zu zeigen, dass
sie ihn mal konnten.
„Bayern ist wie wir“
Man nimmt dem
Politprofi Rull sein Pathos nicht ab, eben noch im Büro hat er sich
gewunden bei der Aufforderung, hier und jetzt der deutschen
Öffentlichkeit das Datum der katalanischen Unabhängigkeit zu nennen.
„Spanien wird alles tun, um ein Referendum zu verhindern“, nuschelt der
Generalsekretär. Die Angst vor den Madrilenen ist groß in diesem Palast
der Volksvertreter, wir rauschen von einem Büro ins nächste quer durch
das politische Spektrum, hinter jeder Tür eine sorgenvolle Miene: Was
wird, wenn Madrid Truppen schickte? „Das würde die Europäische Union
nicht zulassen“, sagt die Vizepräsidentin im sonnengefluteten Büro und
guckt düster.
Vielleicht kommt es gar nicht so weit. Kataloniens
Regierung werde unter dem Druck Madrids umkippen und statt eines
Referendums dem Volk eine Parteienwahl offerieren, womit die
Unabhängigkeit auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben wäre. Das
glauben in diesem Gebäude viele. Und Anna Arqué, die starke,
unerschrockene Anna, die eine Million Menschen mobilisiert und längst
Fakten geschaffen hat, steht im Foyer und rauft sich die blonden Haare
angesichts solchen Kleinmuts.
Abends: Palau de la Musica, wo ein katalanischer
Literaturpreis vergeben wird. Verblüffenderweise an einen
Soap-Opera-Autor. Aber Barcelonas Honoratioren sind da.
Katalonien-Präsident Artur Mas, den Madrid am liebsten im Gefängnis
sähe, begrüßt uns mit Küsschen. Im Foyer erzählt ein Sportfunktionär,
wie er für ein katalanisches Fußball-Nationalteam kämpft. Dass Pep
Guardiola nun Bayern-Trainer sei, sei logisch: „Bayern ist wie wir.“
Schottland
Sowohl die Wahlkampfzentrale der
Gegner als auch die der Befürworter der Unabhängigkeit Schottlands
steht in Glasgow. Der Grund ist nicht der Glamour. In Glasgow gibt es
schöne Ecken (Universität) und eine Einkaufsmeile (Buchanan) mit
Normalo-Läden, aber netter Architektur. Aber auch viele üble Gassen. Die
Lebenserwartung in Glasgow ist mit am niedrigsten in ganz Europa.
Noch leben eine halbe Million
Menschen in der City und zwei Millionen drum herum, insgesamt hat
Schottland nur fünf Millionen. Wer Glasgow gewinnt, gewinnt das
Referendum. Deshalb hat Colin Pyle, 32 Jahre jung und smart, geboren in
Kirkcaldy bei Edinburgh wie Adam Smith, seinen Posten als Spindoctor an
der Seite des Regierungschefs Alex Salmond verlassen und arbeitet in
Glasgow an der „Yes! Campaign“. Yes zu einem eigenen Staat. Am 18.
September 2014 wird abgestimmt. Derzeit sieht es mau aus. Die Umfragen
zeigen eine Mehrheit für Nein. Am Dienstag setzte in einem Glasgower
Wettbüro ein Schotte 200.000 Pfund auf Nein.
Wut anheizen
Bevor Colin Pyle ins
Politikgeschäft eintrat, war er Banker. Er weiß: Stimmungen sind so
volatil wie Kurse an der Börse. Das ist das Problem der Separatisten in
Schottland, Katalonien, Südtirol: Die Wut auf die Mutternation muss am
Kochen gehalten werden. „Wir haben noch 450 Tage“, sagt Pyle. Im
November will sein Chef Salmond ein Weißbuch vorlegen, in dem steht, was
für ein Schottland die Regierungspartei SNP will, nachdem die Bürger
mit Yes gestimmt haben: Das Pfund soll bleiben. Die Queen als
Staatsoberhaupt auch. Mit Großbritannien will man kooperieren. Die
künftigen Erträge aus dem Öl sollen in Schottland bleiben.
Pyles Widerpart auf der „No!
Campaign“-Seite, die von der britischen Regierung bezahlt wird, ist
Alistair Darling, Schotte und bis vor drei Jahren britischer
Finanzminister in der Labour-Regierung. Darling ist ein Schwergewicht.
Geld ist bei seinem Schlachtzug kein Problem. Darling hat die
Washingtoner Medienberatungsfirma Blue State Digital engagiert, die
Frankreichs Präsident François Hollande und zweimal Amerikas Präsident
Barack Obama den Sieg sicherte. Als Darling der Presse das erste Mal die
Kampagne vorstellte, sagte er, in einem unabhängigen Schottland könnten
es die Schotten vergessen, dass Großbritannien nochmal die Royal Bank
of Scotland vor der Pleite rette wie nach der Finanzkrise, als der
britische Staat mit 45 Milliarden Pfund aushalf.
Als Schottlands Ministerpräsident im
Frühjahr seinen Fahrplan für die Unabhängigkeit vorstellte, wonach
zwischen dem Referendum und der Unabhängigkeitserklärung gerade mal
fünfzehn Monate vergehen sollen, bestellte Alistair Darling die Presse
ein und präsentierte eine Tabelle mit der Dauer der
Beitrittsverhandlungen sämtlicher EU-Neumitglieder seit den neunziger
Jahren. Die Zeitungen titelten, dass Schottland neun Jahre warten müsse,
bis es wieder Teil der Europäischen Union und ihrem Binnenmarkt sei.
Jüngst trat Bill Clinton vor schottischen Geschäftsleuten auf und warnte
vor Schmutzkampagnen, die das Land zerreißen könnte. Zwei Tage später
kam ans Licht, dass die „No!“-Kampagne sich intern einen Arbeitstitel
verpasst hatte: „Projekt Angst“.
Wenn man auf einer Europakarte mit rotem Stift eine
Linie zwischen allen Ländern und Parteien ziehe, die Kriege geführt
hätten, sei da nur noch Rot, schreibt der Dichter Robert Menasse.
„Regionen führen keine Kriege, um ihr Gebiet zu vergrößern.“ Das ist
doch mal ein gutes Schlusswort für diese Erzählung über Europa.
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La premsa alemanya constata que “Espanya ja és totalment absent a Catalunya
El prestigiós diari alemany Frankfurter Allgemeine Zeitung, va publicar fa 2 dies un extens reportatge titulat
“Europas rebellische Regionen”, on fa una anàlisi de la realitat de Catalunya, Escòcia, Baviera i Tirol del Sud.
L’article, signat per Hendrik Ankebrand, explica que veu Barcelona
com una dona mal arreglada però amb un ulls meravellosos, i amb una
relació conflictiva, i on es pot observar l’absència total d’Espanya i
d’espanyolitat.
El reporter entrevista
Anna Arqué, que explica que
un país democràtic té realment un problema de legitimitat quan apareix
un moviment d’independència en una part del seu territori, i recorda la
progressió de l’independentisme des de les consultes sobiranistes, i
també els problemes econòmics catalans derivats de la mala gestió
espanyola, com per exemple l’absència del corredor ferroviari
mediterrani.
El reportatge també pregunta a
Elisenda Paluzie,
degana de la facultat d’Economia de la Universitat de Barcelona, que
recorda que Catalunya té una població superior a Bèlgica i Dinamarca, i
que sense l’espoli tindria un ingrés net de 13 milions d’euros anuals
més que ara, i al ser preguntada sobre “que passaria amb l’enorme deute
públic espanyol, una part del qual hauria de pagar Catalunya”, respon
que igual que amb una part de les reserves d’or espanyoles”, que
s’haurien de quedar a Catalunya.
També parla amb
Josep Rull, que diu Espanya està
fent tot el possible per evitar un referèndum, i que Madrid no enviarà
tropes, perquè això no ho permetria a la Unió Europea.
Es recorda que George Orwell ja va escriure en el seu famós llibre
sobre la guerra civil “Homenatge a Catalunya”, el racisme que hi havia
contra els catalans.
El rotatiu també opina que si un país té un problema amb un moviment
independentista actiu, un govern intel·ligent intentaria negociar, però
l’espanyol no ho ha fet. Recorda que Alejo Vidal Quadras, vicepresident
del Parlament europeu volia imposar la llei marcial, i recentment va
amenaçar amb la Guàrdia Civil, la policia paramilitar de Franco, i diu
que l’estat mai ha completat el seu procés de formació com a nació.